„Denkzeichen” – Zurückblicken ist wichtiger denn je

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„Denkzeichen” - Stadtmauer am Châteaudun-Park © Initiative gegen das Vergessen
Das biografische Gedenkbuch „Sie lebten mitten unter uns“ erinnert an
75 von den Nazis ermordete Schweinfurter Jüdinnen und Juden.

Fünf Jahre lang arbeitete die Initiative gegen das Vergessen intensiv an dem umfassenden Projekt „Denkzeichen“, das sich dem entsetzlichen Schicksal der jüdischen Menschen aus Schweinfurt in der Zeit des Nationalsozialismus widmet. Die „Denkzeichen“ erinnern an die 75 von den Nazis im Zweiten Weltkrieg deportierten und ermordeten Schweinfurter Jüdinnen und Juden. Am 10. November 2024 übergab die Initiative in einem Festakt den Erinnerungsort an die Stadt Schweinfurt und ihre Bürger. In einer Zeit des grassierenden Antisemitismus ist das Zurückblicken wichtiger denn je. Das war die einhellige Meinung der vielen Gäste bei der Gedenkfeier.

Johanna Bonengel und Hannes Helferich
Johanna Bonengel und Hannes Helferich

Das Projekt „Denkzeichen“ besteht aus zwei Teilen:
Ein Teil ist die von Steff Bauer und Sven Knobling künstlerisch gestalteten Installation an der Innenseite der Stadtmauer am Châteaudun-Park, an der man die Namen der 75 Opfer und ihre wichtigen Lebensdaten lesen kann.
Der zweite Teil besteht aus dem biografischen GedenkbuchSie lebten mitten unter uns. Verfolgt. Deportiert. Ermordet. Lebensgeschichten Schweinfurter Juden“, verfasst von Johanna Bonengel und Hannes Helferich, gestaltet von Werner Enke.
Das Bindeglied zwischen den beiden Teilen ist der QR-Code an der Installation, der zur Homepage der Initiative und zu den einzelnen Geschichten der Opfer führt.

biografischen Gedenkbuch „Sie lebten mitten unter uns. Verfolgt. Deportiert. Ermordet. Lebensgeschichten Schweinfurter Juden“
biografischen Gedenkbuch „Sie lebten mitten unter uns. Verfolgt. Deportiert. Ermordet. Lebensgeschichten Schweinfurter Juden“

Das Buch verdeutlicht im ersten Teil Hintergrundinformationen zum Erinnerungskonzept und gibt einen Überblick über die Entwicklung des jüdischen Lebens in Schweinfurt bis zum Holocaust. Im wichtigsten Teil des Gedenkbuches erzählen die beiden Autoren 75 erschütternde Lebensgeschichten von jüdischen Menschen, die mitten in der Stadtgesellschaft gelebt, hier gearbeitet, gelacht und geweint haben. Ihr Leben wurde von den Nazis zerstört. Nur weil sie Juden waren. Keiner der Deportierten hat überlebt.

Ziel der Arbeit ist es, die ausgelöschten, vergessenen und verdrängten Namen und Biografien der Opfer in das kollektive Gedächtnis der Menschen Schweinfurts zurückzuholen. Die Autoren wollen mit dem biografischen Gedenkbuch der Erinnerung Namen und den jüdischen Menschen ein kleines Stück ihrer Würde und Identität zurückgeben.

Den beiden Verfassern war es wichtig, die bereits erarbeiteten Einzelforschungen zur Geschichte der Jüdinnen und Juden zusammenzuführen und eigene Akzente zu setzen. So kann man erfahren und nachfühlen, welche Auswirkungen die rassistische Politik auf einzelne Menschen hatte. Die Schikanen des Terrorstaates werden erlebbar: Ausgrenzung, Enteignung, gescheiterte Emigrationsbemühungen, zerstörte Lebensziele, Auseinanderbrechen der Familien, Vertreibung aus den eigenen Wohnungen, Einweisung in sogenannte „Judenhäuser“, Krankheit, Suizid, Deportation, Mord.

Ausgangspunkt der Recherchen der beiden Autoren waren im Wesentlichen die Forschungen von Elisabeth Böhrer und die Informationen auf der Datenbank jüdisches Unterfranken des Johanna-Stahl-Zentrums Würzburg.

Das reich bebilderte Gedenkbuch ist im örtlichen Buchhandel zu erwerben.

Johanna Bonengel / Hannes Helferich: Sie lebten mitten unter uns. Verfolgt. Deportiert. Ermordet. Lebensgeschichten Schweinfurter Juden.
Verlag Rudolph Druck. Schweinfurt 2024. 207 Seiten. 25 €.

Alle Fotos von Anand Anders

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