Intensiv leben, selbstbestimmt sterben – Buchvorstellung

5 Min. Lesezeit
Literatur

Im neuen Roman von Lou Bihl geht’s um selbstbestimmtes Sterben, Freundschaft bis zum letzten Atemzug und die Kraft der Liebe.
(Unken Verlag, ET: 30. Mai 2025)

Die krebskranke Marlene will auch im Tod die Kontrolle über ihr Leben behalten. Spürbar tief im Thema erzählt die Radioonkologin Lou Bihl in „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben” von selbstbestimmtem Sterben, aber auch von der Kraft der Liebe und Erotik angesichts des Todes.

Seit dem Studium sind sie das „doppelte Lenchen“: Helena wird Ärztin und Palliativmedizinerin, Marlene Wissenschaftsjournalistin. Nach einer gescheiterten Ehe verliebt sich Marlene in den attraktiven Lektor Julian, dessen Charme auch Helena beinahe erliegt.

Marlenes Eheglück wird getrübt, als bei ihrer Zwillingsschwester Antonia eine unheilbare, meist qualvoll zum Tode führende Nervenkrankheit diagnostiziert wird und sie sich bei einer Sterbehilfeorganisation in der Schweiz anmeldet.

Dann erkrankt Marlene an metastasiertem Brustkrebs. Sie bestürmt Helena, ihr als letzten Freundschaftsdienst den (damals noch strafbaren) assistierten Suizid zu ermöglichen, sollte ihr Leiden unerträglich werden.

Doch nachdem Marlene ihre Schwester in die Schweiz begleitet und bei deren assistiertem Suizid ihre Hand gehalten hat, gerät ihr Entschluss ins Wanken; sie entdeckt Sterbefasten als Alternative.

Helena betreut und begleitet ihre Freundin bis zu deren letztem Atemzug und spendet auch Julian Trost. In gemeinsamer Erinnerung kommen sie sich näher, der Abend endet in einer intensiven erotischen Begegnung, die Helena mit heftigen Schuldgefühlen erfüllt. Sie meidet fortan jeden weiteren Kontakt.

Doch ein Jahr später begegnen sie sich zufällig wieder …

Wie geht leben, wie sterben? Lou Bihl entfaltet das ethisch, juristisch und religiös kontroverse Thema um selbstbestimmtes Sterben so faktensicher wie leichtfüßig und spannend, trotz der Schwere des Stoffes lässt sie den Leser sogar gelegentlich schmunzeln.

Lou Bihl © Sautter-Bihl
Lou Bihl © Sautter-Bihl

Lou Bihl, 1951 in Freiburg geboren, ist Ärztin und Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Artikel und Buchbeiträge. Durch die langjährige Betreuung von Krebspatient:innen lernte sie auch die Komplexität der menschlichen Psyche gut kennen. Seit dem Rückzug ins Privatleben widmet sie sich dem Schreiben und hat bereits mehrere Erzählbände und Romane veröffentlicht.

Lou Bihl „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben”, Unken Verlag, ca. 272 Seiten, ET: 30. Mai 2025, ISBN 978-3-949286-13-1, Hardcover, 22 €.

 

Lou Bihl im Gespräch über „Ohne Befund“ – Geschichten aus dem Gesundheitswesen-Wesen

Was brachte Sie auf die Idee, nach drei Romanen nun Kurzgeschichten zu schreiben?
Ich war schon immer eine begeisterte Leserin von Kurzgeschichten und wollte gerne ausprobieren, ob mir diese Form des Schreibens liegt – was ich nun uneingeschränkt bejahen kann.

Was sind – abgesehen vom Textumfang – die Unterschiede in der Konzeption von Romanen und Kurzgeschichten?
Bei der Konzeption eines Romans kann man als Autor nie sicher sein, wohin sich die Figuren entwickeln, das ist spannend und gibt Raum, abzuschweifen. Hingegen muss man sich in Kurzgeschichten be- schränken, dabei auf die Beschreibung manch vergnüglicher Nebenschauplätze verzichten und sich auf ein Thema konzentrieren, in das man gedanklich und durch Recherche tief eintaucht. Die eigentliche Herausforderung war für mich dann aber das Destillieren von komplexen Problemen, Ereignissen und Emotionen zu einer Essenz, in der dem Leser ein Maximum an Eindrücken mit einem Minimum an Worten vermittelt wird.

Warum gelten Kurzgeschichten im deutschsprachigen Raum als wenig gefragt und damit kaum markt- tauglich?
Ich glaube, diese Tauglichkeit wird nicht nur von der Nachfrage, sondern auch vom Angebot bestimmt. Ein vermeintlich mieser Markt hält sicher manchen Autor und auch manchen Verlag davon ab, Kurzge- schichten zu produzieren bzw. zu publizieren. In der englischsprachigen Literaturszene hat die Kurzgeschichte einen viel größeren Stellenwert.

Welche Zielgruppe von Lesern kauft Kurzgeschichten?
Leser, die einen gewissen Minimalismus auch in der Literatur mögen. Außerdem Menschen, die ein anstrengendes Leben führen und nicht kontinuierlich an einem Buch dranbleiben können. Eine Kurzge- schichte kann man auch nach einem langen Arbeitstag lesen und kommt in endlicher Zeit zum Abschluss.

In Ihren sämtlichen Romanen („Ypsilons Rache“, „Amazonah“ und „Putin im Wartezimmer“) gab es Bezüge zur Medizin. Auch in den Kurzgeschichten sind Ärzte verschiedener Fachdisziplinen mit unterschiedlichen medizinischen Problemen konfrontiert. Ist das Ihr Markenzeichen?
Ich fand es naheliegend, die langjährige Erfahrung als Chefärztin in mein zweites berufliches Leben als Autorin einzubringen. Viele Menschen interessieren sich für Gesundheitsfragen und wissen es zu schät- zen, wenn komplizierte medizinische Sachverhalte verständlich erläutert werden.

Was macht Ihrer Meinung nach medizinische Themen attraktiv für Leser?
Schon immer waren Grenzsituationen und der menschliche Umgang mit Krisen beliebte Themen der Literatur. Krankheit ist für den Betroffenen und sein Umfeld häufig ein Ausnahmezustand, in dem sich Charaktereigenschaften offenbaren, die im Alltag kontrolliert und verborgen bleiben.

Der Untertitel des Buches ist „Geschichten aus dem Gesundheits-Wesen.“ Was bedeutet die Schreibweise und wie beurteilen Sie die aktuelle Gesundheitspolitik?
Der Bindestrich bei „Gesundheits-Wesen“ weist darauf hin, dass es eben nicht primär um Politik geht, sondern um Geschichten aus dem medizinischen Kontext aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Das deutsche Gesundheitswesen steht derzeit heftig in der Kritik. Manches davon ist mehr als berech- tigt, vieles aber auch Jammern auf hohem Niveau. Im internationalen Vergleich schneidet die medizinische Versorgung bei uns noch immer besser ab als in den meisten europäischen Ländern oder den USA. Das gilt sowohl für die Qualität der Leistungen als auch für deren Kostenerstattung für sämt- liche Bürger.

Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an der Gesundheitspolitik?
Die zunehmende Verschiebung der Zuständigkeiten für medizinische Versorgung vom sozialen in den kommerziellen Bereich. Menschliche Gesundheit darf kein Gegenstand des Geschäftemachens sein. Ein weiterer Punkt ist die chronische Kurzsichtigkeit der Politik. Absehbare mittel- bis langfristige Ent- wicklungen (demographischer Wandel, Personalmangel im Gesundheitswe-sen) werden ignoriert, wenn bei effektivem Gegensteuern eine kurzfristige Wahlschlappe drohen könnte. Das gilt übrigens für sämtliche Bereiche.

Das klingt pessimistischer als der Tenor in Ihren Büchern vermuten lässt, in denen es immer auch einiges zu lachen gibt?
Ich sehe manche Entwicklungen mit Sorge. Aber nichts verbindet Menschen mehr als Humor; solange man noch lachen kann, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sich das Engagement für mehr Gemein- samkeit lohnt.

Das Gespräch führte Verlagsberater Andreas Pawlenka aus Kronberg.

Jubiläumsjahr 2025 im Museum Georg Schäfer
Kunsthalle Schweinfurt: Rolf Sachs „be-rühren”

Weitere Artikel