Emotionalen Missbrauch erkennen und sich aus toxischen Partnerschaften lösen: Verdeckte narzisstische Manipulationen sind subtil und dadurch umso verstörender. Die Diplom- Psychologin Turid Müller kennt das Problem aus fachlicher Sicht und aus eigenem Erleben. In Verdeckter Narzissmus in Beziehungen zeigt sie Mechanismen und Muster von emotionalem Missbrauch und den Weg in eine gesunde Beziehung.
Wer den Begriff „Narzissmus“ hört, denkt meist an die grandiose Form, an ein übersteigertes Selbstbild und offen auftretende Verhaltensweisen, wie man sie mit amerikanischen Ex-Präsidenten assoziiert. Die eher unbekannte Form des verdeckten Narzissmus dagegen ist deutlich subtiler und schwerer zu erkennen – sogar für Expert:innen. Kaum jemand kann sich vorstellen, dass diese oft allseits beliebten und freundlichen Menschen in Beziehungen das Selbstwertgefühl ihrer besseren Hälfte untergraben. Das hat auch Autorin Turid Müller als Diplom-Psychologin und selbst Betroffene erlebt. Viel zu lang verharrte sie in einer emotional missbräuchlichen Beziehung, da sie das, was ihr widerfuhr zunächst nicht als narzisstisches Verhalten erkannt hat. „Es passte einfach nicht in das Bild, dass ich davon hatte“, sagt die Diplom-Psychologin. Als ihr bewusst wurde, womit sie es zu tun hatte, war sie fünf Tage später weg. „Wissen ist Macht“, weiß sie seither und möchte ihre Erfahrungen und Expertise daher auch anderen mit ihrem Buch Verdeckter Narzissmus in Beziehungen – Die subtile Form toxischen Verhaltens erkennen und sich von emotionalem Missbrauch befreien zugänglich machen.
Turid Müllers Ratgeber ist ein informatives Nachschlagewerk und bestärkendes Arbeitsbuch, für alle, die sich fragen, ob ihre Partnerschaft toxisch oder ihre bessere Hälfte narzisstisch ist. Wer den Verdacht hat, in einer emotional missbräuchlichen Beziehung zu stecken, findet Entscheidungshilfen, ob und wie eine Trennung sinnvoll ist. Wer in naher oder ferner Vergangenheit narzisstischen Missbrauch erlebt hat, kann mit den Übungen und Impulsen den Heilungsprozess begleiten. Informationen über Warnzeichen und Rüstzeug fürs Dating helfen bei der Suche nach einer gesünderen Partnerschaft.
Wichtige Informationen bietet die Autorin auch für Angehörige und Fachleute: Denn das, was ihr passiert ist, ist bei Weitem kein Einzelfall. Wenn Missbrauch nicht körperlich wird, fällt er oft durch das Raster von Gesundheitswesen, staatlichen Institutionen und bleibt lange unbemerkt – nicht selten sogar für die Opfer! Sie leiden unter Selbstzweifeln, verlieren Energie und Lebensfreude, werden krank an Körper und Seele. Aber sie – und oft auch Dritte – können sich nicht vorstellen, dass es an ihrer Partnerschaft liegt. Schließlich ist ihr Herzensmensch liebevoll und fürsorglich, das bestätigt auch sein breiter Fanclub und auch die Urlaubsfotos wirken vermeintlich wie aus einer TV-Romanze … Ob „Love Bombing“ oder „Gaslighting“ – narzisstische Verhaltensweisen als solche zu erkennen, ist der Schlüssel, um uns und andere davor zu schützen.
Die Autorin: Turid Müller ist Diplom-Psychologin und ausgebildete Schauspielerin. An der Schnittstelle von Kommunikation und Kreativität gestaltet sie Coachings, Trainings und Vorträge. Parallel dazu tritt sie mit eigenen Kabarettprogrammen auf und schreibt Songtexte, Blogs und Musicals. Ihr besonderes Engagement gilt der Sensibilisierung der Gesellschaft für unbequeme Themen – zum Beispiel für den Umgang mit Demenz. Weil sie selbst die verstörenden Folgen einer toxischen Beziehung erlebt hat, beschäftigt sie sich auch beruflich mit dieser bisher eher unbekannten Form des Narzissmus. Die Autorin lebt in Hamburg.
Verdeckter Narzissmus in Beziehungen, Hardcover, ca. 300 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, ISBN 978-3-424-63224-8 ca. € 22,00. ET: 16. Mai 2022 bei Kailash, auch als eBook.
Interview zum Buch mit der Autorin
Turid, Dein Buch befasst sich mit verdecktem Narzissmus, einer eher unbekannteren und subtileren Form. Was hat Dich bei der Beschäftigung mit dem Thema am meisten überrascht?
Die größte Überraschung war tatsächlich die, die mich zur Beschäftigung mit diesem Thema veranlasst hat: nämlich herauszufinden, dass es so etwas wie verdeckten Narzissmus überhaupt gibt. Obwohl ich selbst Psychologin bin, hatte ich – wie die meisten – nur das vor Augen, was man so gemeinhin unter Narzissmus versteht. Selbst die Diagnose Manuale erfassen vor allem die klassischen Eigenschaften wie z.B. eine hohe Meinung von sich selbst. Für den verdeckten Narzissmus gibt es einen großen blinden Fleck – auch bei Profis aus Psychologie, Medizin und Pädagogik. So wird er oft nicht als solcher erkannt.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch emotionaler Missbrauch etwas ist, das die Gesellschaft noch nicht auf dem Schirm hat. Mythos: Missbraucht werden nur Opfertypen. Das ist schlicht falsch. Es kann allen passieren. Auch ich als Fachfrau habe eine toxische Partnerschaft hinter mir. Einfach nicht einordnen zu können, was man da erlebt, kenne ich also aus eigener Erfahrung. Als ich es endlich benennen konnte, war ich fünf Tage später weg – Wissen ist Macht!
Mich hat überrascht, wie wenig man zu den subtileren Formen narzisstischen Missbrauchs in der deutschsprachigen Literatur findet. Daher war es mir wichtig, dieses Buch zu schreiben. Ich hoffe sehr, dass diese Muster bekannt werden und mehr Menschen frühzeitig Unterstützung finden.
Woran merke ich, ob ich in einer emotional missbräuchlichen Beziehung bin?
Allein diese Frage zu stellen, kann ein erstes Zeichen sein. Denn klassisch für Missbrauchsbeziehungen ist, dass ich mich ständig in einem Zustand von kognitiver Dissonanz befinde. Das heißt, dass ich zwischen verschiedenen Sichtweisen auf meine Partnerschaft hin- und her pendele: Ich dachte, es wäre eine glückliche Beziehung – aber irgendwas passt nicht ins Bild! Wir wollen heiraten – doch wie ich behandelt werde, fühlt sich nicht nach Liebe an. Die magischen Momente gibt es noch – aber ich bin zunehmend fertig und verzweifelt.
Wenn ich mir selbst immer wieder bestätigen muss, dass meine Beziehung eine Gute ist, ist das ein Warnzeichen.
Du schreibst Betroffene von dieser besonderen Form des emotionalen Missbrauchs verlieren oft das Vertrauen in ihr Bauchgefühl, weil ihnen die Umgebung und manchmal sogar in der Paartherapie gespiegelt wird: „Du hast doch so einen tollen Menschen an deiner Seite!“ Was rätst du Personen, die verunsichert sind, ob sie es wirklich mit verdecktem Narzissmus in ihrer Beziehung zu tun haben – oder ob sie selbst das Problem sind, wie die Partnerin oder der Partner sie das glauben machen?
Auch hier gilt: Wissen ist Macht. Ein erster Schritt ist es, sich zu informieren grade auch über die weniger offensichtlichen Formen.
Zusätzlich kann eine Therapie ein sicherer Rahmen sein, sich Klarheit zu verschaffen. Dabei ist es wichtig, jemanden zu finden, der sich mit narzisstischen Beziehungen, missbräuchlichem Verhalten und auch den verdeckten Formen von Narzissmus auskennt. Ein geschultes Gegenüber kann uns aus dem Nebel der kognitiven Dissonanz heraushelfen. Eine therapeutische Beratung kann uns dabei unterstützen, Muster zu erkennen, weise Entscheidungen zu treffen, für uns zu sorgen und der eigenen Wahrnehmung wieder trauen zu lernen. Denn diese innere Richtschnur ist bei Opfern von Manipulationstechniken wie „Gaslighting“ oft gestört.
Was bedeutet das?
Der Name dieser Manipulationsmethode leitet sich vom Film „Gaslight“ ab: Darin wird eine Frau von ihrem Mann systematisch in den Wahnsinn getrieben. Das gelingt ihm, indem er sie an ihrer Wahrnehmung und damit an ihrer geistigen Gesundheit zweifeln lässt. Wenn er die Gaslichter im Haus flackern lässt, behauptet er, das nicht zu sehen. So muss seine Frau zu dem Schluss kommen, dass sie sich das nur einbildet. Nach und nach verliert sie ihr Selbstvertrauen.
Genauso funktioniert Gaslighting: Jemand, dem wir vertrauen, versteckt Dinge, lügt oder redet uns unsere Gefühle aus (oder ein) bis wir massiv an uns selbst zweifeln.
Die Irritation der Gegaslighteten kann unterschiedliche Ausmaße annehmen: Sie reicht von einer leichten Verunsicherung bis hin zu der Angst, kognitiv erkrankt zu sein oder gar verrückt zu werden („Crazy Making“).
Konflikte kommen in jeder Beziehung mal vor – wann sollten wir hellhörig werden?
Ein klares Alarmzeichen ist, wenn jemand in Streitsituationen grundsätzlich keinerlei Verantwortung für den eigenen Anteil an einer Situation übernimmt. Wenn die Schuld immer nur beim Gegenüber, bei Dritten oder den widrigen Umständen liegt und es keinerlei Selbstreflexion gibt. Auch wenn die Beziehung stagniert, wenn ein Paar gemeinsam keine Probleme lösen kann. Wenn meine Bedürfnisse in der Beziehung nicht berücksichtigt und meine Grenzen nicht respektiert werden. Es braucht keine Narzissmus-Diagnose, um zu erkennen: Das ist toxisches Verhalten.
Worauf kann ich achten, um gar nicht erst an jemanden zu geraten, der ein Thema mit verdecktem Narzissmus hat?
In der Anbahnungsphase gibt es verschiedene Verhaltensmuster, die Warnsignale sind. Eines ist z.B. „Love Bombing“, das sind zu schnelle und zu frühe Liebesbeweise: Wenn ich z.B. schon beim ersten Date zu hören bekomme, ich sei die große Liebe, wenn ich mit unangemessen teuren Geschenken überhäuft oder mit lieben Nachrichten bombardiert werde. Bei subtileren Formen von Narzissmus werde ich vielleicht nicht zu einer Weltreise eingeladen, sondern bekomme das Versprechen, niemals verlassen zu werden. Oder meine Flamme scheint seelenverwandt zu sein.
Auch das Gegenteil kann eine rote Flagge für toxische Dynamiken sein: Dass jemand zwischen den Dates völlig untertaucht und ich mich plötzlich in der Rolle wiederfinde, Tempo zu machen, weil ich das Gefühl habe, um Zuneigung kämpfen zu müssen.
Daher gilt immer: Wenn mir in der Kennenlernphase etwas auffällt oder unangenehm ist, sollte ich das Gespräch suchen und kommunizieren, welche Rahmenbedingungen für mich stimmig sind, z.B. wie viel Kontakt oder auch Verbindlichkeit ich benötige. Die Reaktion gibt dann Anhaltspunkte: Wenn das Gegenüber nicht verständnisvoll oder sogar abwertend reagiert und wenn es keine Veränderungsbereitschaft gibt, habe ich meine Antwort.
„Future Faking”, „Love Bombing“ und „Gaslighting“, all das sind Manipulationstechniken, die du – neben anderen – in deinem Buch beschreibst. Manche Verhaltensweisen gibt es aber ja auch in einer gesunden Form. So hat beispielsweise nicht jede Phase intensiver Verliebtheit einen manipulativen Charakter. Wie erkenne ich, ab wann es toxisch wird?
Um Schmetterlinge im Bauch von Love Bombing zu unterscheiden, gilt als Faustregel: „Wenn es zu schön ist, um wahr zu sein, ist es das vermutlich auch!“ Wenn es „drüber“ ist, also zu viel und zu früh – Tempo rausnehmen! Sich wirklich Zeit zu nehmen, einen Menschen kennen zu lernen. Ich muss nach ein paar Treffen nicht schon wissen, ob ich mit der Person eine Beziehung führen möchte. Ich darf mir Zeit lassen, Informationen zu sammeln und muss mich nicht Hals über Kopf binden.
Hör auf das Gefühl, was du bei der ersten Begegnung hattest und vielleicht weggeschoben hast. Schreib das Gefühl ruhig auf, damit du dich erinnerst und besprich es mit Vertrauten. Gleiche das, was du real erlebst, mit dem Gefühl ab. Beobachte, ob dein Schwarm hält, was er verspricht und ob Worte und Taten zusammenpassen. Vertrauen ist etwas, was man sich verdienen muss.
Besteht auch die Gefahr übermisstrauisch zu werden?
Von dem Menschen, der uns am nächsten steht, missbraucht zu werden, sorgt natürlich für einen fundamentalen Vertrauensverlust. Es dauert seine Zeit, bis Überlebende eine gesundes Skepsis entwickeln, die weder Misstrauen noch Blauäugigkeit ist. Daher ist es ratsam, nach einer toxischen Beziehung erstmal eine Dating-Pause einzulegen und sich mit den Wunden zu befassen – mit denen, die die Beziehung hinterlassen hat, aber auch mit denen, die schon vorher da waren und die einen unter Umständen empfänglich dafür gemacht haben.
Ich kann also verhindern, dass mir das (wieder) passiert, wenn ich mich mit meinen eigenen Mustern und meinem „Beuteschema“ befasse?
Richtig. Allerdings gibt es dabei leider nicht das eine Patentrezept, sondern viele verschiedene Ansatzpunkte.
Ein wichtiger Aspekt ist zu verstehen, warum ich (vielleicht auch immer wieder) an einen bestimmten Typ Mensch gerate – beziehungsweise nicht rechtzeitig gehe. Das kann unterschiedliche Gründe haben, z.B. dass ich aus einem Elternhaus mit narzisstischen Themen komme, dann können sich diese Verhaltensweisen für mich vertraut anfühlen. Oder dass ich eine (komplexe) posttraumatische Belastungsstörung aus der Kindheit habe und ich daher immer wieder in traumatische Beziehungen gerate – z.B., weil ich Drama mit Leidenschaft verwechsele. Haben wir nicht fast alle Löcher in der Seele, die wir mit uns rumtragen, und deren Füllung uns zuweilen in die falschen Arme treibt…?
Auch bestimmte Verhaltensweisen können gegen uns verwendet werden und machen uns zu geeigneten Zielpersonen: People Pleaser ohne gesunde Grenzen geben immer wieder zweite Chancen. Empathische Menschen hinterfragen eher sich selbst und tendieren dazu, zu viel Verantwortung zu übernehmen. Kurz: Es kann ein wichtiger Baustein bei Heilung und Prävention sein, die eigenen Aktien zu beleuchten. Aber mindestens ebenso wichtig ist, sich klarzumachen: Vor Manipulation ist niemand sicher. Passieren kann es uns allen.
Im Buch geht es auch darum, mit sich selbst glücklich zu werden, um unsere Beziehungs-Standards zu erhöhen. Das ist ja ein eher längerer Prozess. Gibt es noch etwas, was man beim Dating ganz konkret tun kann?
Natürlich kann ich auch mein Dating-Verhalten beleuchten: Habe ich mein Bauchgefühl schon öfter überhört, weil ich mir so sehr wünsche, dass es klappt? Nehme ich, was ich kriegen kann oder suche ich mir Menschen, die mir guttun? Und dann hilft es, auch den Kopf zum Date mitzunehmen und zu beobachten, wie sich mein Gegenüber verhält: Erkenne ich manipulative Muster? Wie fühle ich mich mit der Person? Wie geht’s mir nach diesen Treffen? Bin ich bei mir oder bin ich im Begriff in eine Traumabindung zu geraten, die zwar mit sehr starker Leidenschaft, aber auch mit Leiden einhergeht? Oder haben die Treffen eher etwas Ruhiges, Normales und Verlässliches, was Sicherheit schafft und wo ich vertrauen kann, weil die Person Kontinuität zeigt?
Und nochmal: Langsamkeit ist das erste Gebot. Übereilte Schritte Richtung Bindung (Sex, Zusammenziehen usw.) können das Urteilsvermögen trüben. Eine Beziehung darf langsam wachsen.
Es braucht Zeit, bis man jemandem vertrauen kann. Die darf man sich auch nehmen. Eine Person, die gut mit sich verbunden ist, die meine Bedürfnisse und Grenzen ernst nimmt, wird mir – und sich selbst – die Zeit auch geben.