„Maikan” von Michel Jean – „Der Wind spricht noch davon”

1007

Seit etwa 1850 bis 1996 wurden in Kanada rund 150.000 Kinder in etwa 139 kirchliche Internatsschulen (davon 10 in Québec) gebracht, deren Ziel es war, den „Indianer im Kind zu töten“.

Dieser Roman erzählt das Schicksal von drei jungen Innu, Marie, Virginie und Thomas, die im August 1936 ihren Familien entrissen und mit dem Flugzeug in das 1000 km entfernte Internat Fort George in der James Bay gebracht wurden, wo es ihnen verboten war, ihre Sprache zu sprechen, sie nur noch eine Nummer waren und hilflos brutalen Übergriffen und sexuellem Missbrauch von Seiten der Mönche und Nonnen ausgesetzt waren, die sie „Wölfe“ (maikan) nannten.

2013 macht sich die Anwältin Audrey Duval auf die Suche nach ehemaligen Internatsschülern, um ihnen zu der von der kanadischen Regierung zugestandenen Entschädigung zu verhelfen. Und sie muss feststellen, dass ihre Namen spurlos aus dem Indianerregister verschwunden sind. Auf abenteuerlichen Wegen findet sie schließlich Marie in einem abgelegenen Dorf, die ihr ihre Geschichte erzählt.

Mehr als ein Jahrhundert lang verfolgte die kanadische Regierung das Ziel, die indigenen Regierungen zu eliminieren, die Rechte der Indigenen zu ignorieren, die geschlossenen Verträge zu beenden und mittels eines Prozesses der Assimilation dafür zu sorgen, dass die indigenen Völker aufhören, als gesetzliche, soziale, kulturelle, religiöse und rassische Entitäten zu existieren. Die Einrichtung und Betreibung der Internate war ein zentrales Element dieser Politik, die man als ‚kulturellen Völkermord‘ bezeichnen könnte.

Michel Jean wendet sich in seinem erstmals 2013 erschienenen Roman einer der finstersten Perioden der Geschichte Kanadas zu, die bis heute nicht wirklich aufgearbeitet ist. Durch die Funde von gut 1000 Überresten von Leichen indigener Kinder in Massengräbern in der Nähe ehemaliger Umerziehungsinternate 2021 und Anfang 2022 bekommt dieser erschütternde Roman noch einmal eine neue Aktualität und Brisanz.

Michel Jean c_ julienfaugere.com

Michel Jean, geboren 1960, ist Innu aus der Gemeinde Mashteuiatsh am Lac Saint-Jean (Québec). Nach einem Studium der Geschichte und Soziologie arbeitet er seit 1988 als Journalist und Moderator für die französischkanadischen Fernsehsender Radio Canada Info und, seit 2005, TVA Nouvelles. Er ist mit acht Romanen und zwei Anthologien mit Erzählungen indigener Autorinnen und Autoren aus Québec einer der wichtigsten indigenen Autoren Québecs. Im Oktober 2021 erschien sein Roman Tiohtiá:ke (Montréal in der Sprache der Mohawk). Sein Roman Kukum verkaufte sich weit über 100.000 Mal in Québec und wurde im Herbst 2020 mit dem renommierten Prix littéraire France-Québec und im Herbst 2021 mit dem erstmals verliehenen Prix littéraire Nature Nomade ausgezeichnet.

Michel Jean / Maikan – Der Wind spricht noch davon, aus dem Französischen übersetzt von Michael von Killisch-Horn, ca. 220 Seiten, gebunden, Lesebändchen, ISBN: 978-3-99029-539-7, 21 €, ET September 2022, www.wieser-verlag.com