Kulturerbe: Die Schweinfurter Schlachtschüssel – und ihre Geschichte

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Immaterielles Kulturerbe ehrt Brauchtum und Traditionelles. Auf der diesbezüglichen Unesco-Liste stehen – den Freistaat Bayern betreffend – schon länger der Dietfurter Chinesenfasching, die bayerische Brautradition, die Knabenchöre aus Regensburg, Augsburg, Bad Tölz und neuerdings aus Windsbach sowie ebenso seit dem Frühjahr dieses Jahres die Schweinfurter Schlachtschüssel.

Mit dem Schweinfurter Original und einem Dutzend weiterer Brauchtümer stehen jetzt 82 Kulturformen im bayerischen Landesverzeichnis, wozu aus unseren Breiten schon länger die Kirchweih der benachbarten Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld gehören. Den erfolgreichen Antrag hatte der Verein Genussreichstadt-Schweinfurt gestellt.

Das bayerische Heimatministerium hat die Schweinfurter Schlachtschüssel bei der Verkündung der Freudennachricht im März so beschrieben: ein von September bis April praktiziertes gesellschaftliches und kulinarisches Ritual, an dem Fleisch für bis zu 150 Personen tischweise gereicht wird.

Wir Schweinfurter wissen, dass bei einer Schlachtschüssel im Jahr 1991 mehr als 1200 Menschen auf Holzbrettern gereichtes Schweinefleisch verzehrt haben. Das kulinarische Großereignis bei der Turngemeinde war ein Weltrekord. Wie alles hat natürlich auch die Schlachtschüssel eine Geschichte.

Im Buch Schweinfurter Geheimnisse hat Hannes Helferich in einem der 50 Kapitel die Entstehung der Schweinfurter Schlachtschüssel beschrieben.

Zur Geschichte der Schweinfurter Schlachtschüssel
Einen besseren Titel hätte der ehemalige Kreisheimatpfleger und Bewahrer der fränkischen Kultur, Karl Heinz Hennig, für sein Buch über die „Schweinfurter Schlachtschüssel“ gar nicht wählen können: „Zum Fressen gern”. (erschienen 2005 im Reimund Maier Verlag Schweinfurt)

Diese „urige Art, Schweinefleisch auf blanken Holzbrettern zu servieren“, so Hennig, hatte ihre Premiere im Gasthof zum Stern in der heutigen Oberen Straße, damals Oberen Gasse.

Der Schweinfurter Karl Heinz Hennig kennt alle Geheimnisse um die Erfindung der Schlachtschüssel. Die Tafel in der Oberen Straße erinnert an die Gründung. Foto: Hannes Helferich

Hennigs Nachforschungen verdanken wir, dass jetzt klar ist, wann dieses außergewöhnliche Schlemmen erstmals stattfand: 1840. Susanne Magdalene Schwanhäuser, Frau des Metzgermeisters Georg Josua Schwanhäuser, soll mündlichen Überlieferungen zufolge die Idee gehabt haben, in der Durchfahrt des von den Eheleuten betriebenen Gasthofs Tische und Bänke aufzustellen und ihren Gästen das geschlachtete Schwein so zu servieren, „wie es schon immer bei den Bauern und Metzgern verspeist wurde“: auf einem Holzbrett.

Bronzetafel erinnert an die Entstehung – Dass sie als Mutter von zehn Kindern überlegt hat, wie sie möglichst viele Leute gleichzeitig satt bekommt, dürfte eine nachvollziehbare Rolle gespielt haben. Die Original Schweinfurter Schlachtschüssel war jedenfalls erfunden. Eine von der Gesellschaft „Harmonie“ gestiftete Bronzetafel erinnert seit 2004 an das Ereignis. Sie hängt an der Außenwand eines im selben Jahr am einstigen Standort der Gaststätte hochgezogenen Neubaus. Als Erfinder der Schlachtschüssel wird darauf aber nur Georg Josua Schwanhäuser (1796-1876) genannt, der als „hoch geachteter Bürger unserer Stadt“, so die Inschrift, im Jahr 1827 auch Gründungsmitglied der Harmonie war.

Der Gasthof zum Stern ist 1780 erstmals dokumentiert. 1820 wurden Georg Joshua und Susanne Magdalene Betreiber der Gaststätte. Kurz vor dem Erwerb wurde der gesellschaftlich etablierte Metzgermeister in die „Schweinfurter Bürgerschaft“ aufgenommen. Er gehörte dem „Verein der gebildeten Einwohner Schweinfurts“, dem Liederkranz, an und war eben auch Mitglied der Harmonie.

Wegen der schweren Erkrankung der Gastwirts-Gattin endete das Wirte-Engagement der Schwanhäusers bereits 1843. Susanne Magdalene starb 1851, Georg Josua im Jahr 1876 im Alter von 80 Jahren. Die Gaststätte gab es weiter. 1878 wurde dort etwa die Schweinfurter Bäckerinnung und im gleichen Jahr – am 27. Juli 1878 – von Sozialdemokraten der „Wahlverein zur Erzielung volkstümlicher Wahlen“ gegründet. 1920 mauerte man die Hofeinfahrt zu, in der dereinst so viele Schweinfurter Schlachtschüsseln stattgefunden hatten.

Schachtschüssel wurde zum gesellschaftlichen Ereignis – Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die Gaststätte nicht mehr Fuß fassen, sie wurde Ende der 1950er-Jahre geschlossen, das Haus abgebrochen. Im neu errichteten Gebäude betrieb das heute ebenfalls nicht mehr existierende Stoffhaus Markert sein Geschäft. Im Jahr 2000 kam der nächste Abriss und der derzeitige Neubau, Adresse: Obere Straße 6. Die Schlachtschüssel – an keinem anderen Ort der Welt hätte sie besser erfunden werden können – entwickelte sich rasch zum gesellschaftlichen Ereignis und wurde in bürgerlichen Kreisen genauso wie bei Vereinen zum Höhepunkt des Jahres.

Unzählige Gaststätten boten sie an, der Nachfrage wegen. Und es entstanden im Lauf der Zeit viele Gedichte und vor allem Lieder, wie dieses aus dem Liederkranz-Repertoire: „Gegrüßet seid uns allzumal. Wer zählet Eure Namen. / Die heut zu einem Schweinmahl allhier zusammenkamen. / Die Auswahl wird hier keinem schwer. Wir essen alle Eines. / Das Schwein vom Rüssel bis zum Schwanz. Beschert uns etwas Feines.“

Ihre beste Zeit hatte die Schlachtschüssel an der Wende zum 20. Jahrhundert. Da gab es den Spruch: „Guck när amal ins Tochblot nei – zwää ganza Seit‘n senn voll Säu.“ Das große Fres habe sich „wie keine andere Alt-Schweinfurter Tradition bis in die heutige Zeit so erhalten“, hat der geschichtsinteressierte Schweinfurter Edgar Lösch in seinem Buch „Mei Schweinfurt is mer lieb und wart…“ notiert.

Gleichwohl mag es manchen Auswärtigen zunächst auch etwas barbarisch anmuten, wenn er vom Wirt aus großen Töpfen Bauch, Brustspitz, Bug, Backe, Rüssel und am Ende die Innereien in acht Gängen direkt auf einem Holzbrett serviert bekommt. Der Gast hat da schon eine gehörige Portion Sauerkraut, zwei Häuflein mit Pfeffer und Salz, Meerrettich und Bauernbrot – mundgerecht in kleine Quadrate geschnitten – vor sich. Zum Ritual gehört auch, dass – bevor es losgeht – mit Messer und Gabel der Wirt herbei getrommelt wird.

Das Spiel mit dem Schweineschwänzchen – Allerwichtigste Tradition ist das neckische Spiel mit dem Schweineschwänzchen. Mit einer Nadel versehen, geht es reihum, soll dem Nebenmann oder Übernächsten möglichst unbemerkt ans Hemd oder die Hose gehängt werden, was bei Erfolg mit einem lauten „Er hängt“ verkündet wird. „Für das Opfer ist das zugleich der Auftrag, das Schweineschwänzchen weiterzureichen ans nächste Hemd oder die nächste Hose“, erklärt Karl-Heinz Hennig mit einem Schmunzeln.

Jeder isst, so viel er kann, das Fett wird abgeschnitten, bleibt so lange liegen, bis die Metzger die Reste – mit einer Mauerkelle – abholen: Wurst wird draus gemacht. Getrunken wird zum Ereignis eigentlich Wein, wer Bier trinkt, ist mittlerweile auch gelitten. Zwischendurch hilft ein kräftiges Zwetschgenwasser, den nicht vermuteten nächsten Gang doch wieder anzugehen.

Schlachtschüssel im Guiness-Buch der Rekorde – Weltrekordhalter ist Schweinfurt natürlich auch und der Erfolg im Guinness-Buch vermerkt. 1991 feierte die Stadt mit dem Schwein im Namen ihren 1200. Geburtstag. 1200 Menschen kamen bei der Turngemeinde zusammen, um die bis dahin größte Schlachtschüssel aller Zeiten am Originalschauplatz Schweinfurt zu verdrücken.

Überliefert ist, dass für den Weltrekord fünf Dutzend Säue ihr Leben lassen mussten. Übrigens: Eines der Schwanhäuser-Kinder, Sohn Gustav Adam, kaufte 1865 in Nürnberg eine ins Straucheln geratene Bleistiftfirma, die er in „Schwan Bleistiftfabrik“ umfirmierte. Schwan Stabilo existiert nach wie vor und befindet sich bereits in der fünften Generation noch immer in Familienbesitz.

Das Buch „Schweinfurter Geheimnisse“ ist im Bast Medien Verlag erschienen. Es enthält auf den reich bebilderten 192 Seiten 50 Geschichten. Die Hälfte davon von dem Schweinfurter Journalisten Hannes Helferich. Erhältlich im Schweinfurter Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9.

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