Johanna Bonengels Buchtipp
Rom ganz anders – „Ein kaltes Schwimmbecken“
Giulia Caminito, 1988 geboren, lebt und arbeitet in Rom als Lektorin und als Autorin; sie wird als eine der wichtigsten literarischen Stimmen Italiens gefeiert, wovon ihre viele Literaturpreise Zeugnis geben. Ihr Roman „Das Wasser des Sees ist niemals süß“ gibt kein Bild vom Sehnsuchtsland Italien, nein, er ist genau das Gegenteil von Dolce Vita. Er öffnet uns die Augen für toxische italienische Problemfelder und bringt, eindringlich, lebendig und sehr präsent erzählt, die graue Realität in den Mythos Rom.
Die Autorin nimmt uns mit von einem Kellerloch in der verarmten Peripherie San Basilio über den eleganten, aber unerreichbaren Corso Trieste im reichen Norden der Stadt bis hin in das römische Provinzstädtchen Anguillara am Braccianosee. Caminito erzählt die Geschichte einer Familie, die immer gegen ihre äußerst prekäre Situation und ihre finanziellen Schwierigkeiten kämpfen muss, die Mutter arbeitet als Putzfrau, der Vater sitzt pflegebedürftig im Rollstuhl, zusammengepfercht in einer Stadt, die die Bedürfnisse ihrer Menschen nicht erkennt. Die Welt ist für sie „ein zu kaltes Schwimmbecken“.
Im Mittelpunkt stehen der Kampf einer Mutter – Antonia, genannt „La Rossa“ wegen ihrer roten Haare – um sozialen Aufstieg und die Wut ihrer Tochter Gaia, der Ich-Erzählerin, die auf ihre Kindheit in den 1990er Jahren zurückblickt. Mit Bildung, so hoffen sie, können sie dem Sumpf entkommen.
Aber das Lernen wird für Gaia „zwanghaft und selbstzerstörerisch“. „Mir gelingt es nicht, glücklich zu sein.“, das ist das Grundgefühl von Gaia mit ihrem „durchgeknallten Kopf“. Sie wird unter den „harten Hufen“ der Welt „zermalmt“. „Ich bin müde und hungrig nach Anerkennung, habe das Verlangen, nicht vergessen zu werden.“ Aber alles gerät zu einem Desaster. Einmal etwas Neues besitzen; das gelingt nie, keine Barbiepuppe in Originalverpackung, kein Schulranzen ohne Gebrauchsspuren.
Der Autorin gelingt es hervorragend, in der Leserin das Kopfkino anzuklicken. Die drückende Atmosphäre wird sehr dicht erzählt; in ihr leben die Figuren, die leiden, die verzweifelt sind. Sie gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. Man ist mittendrin. Eine düstere Coming-of-Age-Geschichte, gefüllt von Bitterkeit, Wut und Gewalt. Große Leseempfehlung!
Giulia Caminito: Das Wasser des Sees ist niemals süß. Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Kleiner. Klaus Wagenbach Verlag. Berlin 2022. Taschenbuch, 320 Seiten, 16 €.