Vor 75 Jahren: Der Luftkrieg gegen Schweinfurt 1943 -1945

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Denkmal am Spitalseebunker in Schweinfurt

Termine: Sonntag, 14. Oktober 2018, um 10 Uhr Gustav-Adolf-Kirche Schweinfurt, Ludwigstraße: Luftkriegsgedenken. Jedermann willkommen. 11 Uhr Denkmal am Spitalseebunker Schweinfurt: Kranzniederlegung. 15 Uhr Kirche in Hausen bei Schonungen: Deutsch-amerikanische Gedenkstunde an die Toten des Luftkriegs.

Wenn wir uns daran machen, den Luftkrieg in Erinnerung zu rufen, dann stehen wir dabei – bildlich gesprochen – vor einem riesigen Felsbrocken. Unbehauen, ohne Struktur. Ein kompaktes, fremdes Ungetüm. Indem wir uns nur auf Schweinfurt konzentrieren, haben wir den Block zwar schon aufgespalten. Aber das Thema ist immer noch weit weg.
Deshalb ist es mein Anliegen, Einzelheiten herauszustellen, die den Zugang erleichtern. Den Zeitzeugen, die damals „mittendrin” waren, fallen auf einmal persönliche Erlebnisse ein, die schon fast vergessen waren. Und später Geborene kann es vielleicht heranführen, wenn wir bewegende, auch anrührende Details vorstellen.
Erste Betrachtung ist – als Basiswissen sozusagen – das Herausstellen einiger grundlegender Fakten. Zum Beispiel, dass Deutschland im Luftkrieg nur von Engländern und Amerikanern angegriffen wurde. Die Sowjetunion hatte damals noch keine strategische Luftwaffe. Oder: dass die „Amis” mit ihren 4-motorigen B-17 Bombern nur bei Tageslicht kamen, während die Engländer sich auf die Nächte konzentrierten.
Oder: Es gab Angriffe mit einem klar erkennbaren, ,,logischen” Ziel wie die Eder-Talsperre die Raketenversuchsanstalt Peenemünde, die Raffinerien für das eh schon äußerst knappe Erdöl, die U-Boot-Stützpunkte an der französischen Atlantikküste oder: die Kugellagerindustrie, ohne die sich nichts drehte und die praktischer Weise so schön an drei Orten konzentriert war: in Berlin-Erkner, Stuttgar-Bad Cannstadt und Schweinfurt. Bei anderen Zielen rätselt man heute noch, warum sie angegriffen wurden. Aber vergessen wir nicht: In einem „totalen Krieg” gibt es keine „rein zivilen” Ziele mehr.
Ganz besonders wollen wir aber die Opfer im Blick haben und hier finden wir eine große Zahl von bewegenden Einzelschicksalen. Dazu gehören einerseits die gefallenen „Uniformträger” bei Angreifern wie Verteidigern: Flieger und Flaksoldaten, darunter schon 15jährige sogenannte Luftwaffenhelfer. Unter Letzteren gab es die Katastrophe, dass sieben Würzburger Schülersoldaten am 25. Februar 1944 durch eine einzige Bombe ums Leben kamen, zusammen mit ihrem Geschützführer und mindestens zehn russischen Munitionsschleppern ihres Zuges am Gleisdreieck westlich des Hauptbahnhofs.
Beim Blick auf die zivilen Opfer wird es schnell verwirrend. Denn da starben in Schweinfurt nicht nur Deutsche, sondern auch Menschen aus dem großen Heer der ausländischen Zwangsarbeiter. Zu ihnen gehörten Kriegsgefangene, z.B. Franzosen wie Polen, dazu aus beiden Ländern aber auch zwangsverpflichtete Zivilpersonen. Um die Lage vollends kompliziert zu machen, gab es vom Sommer 1943 nach dem Sturz Mussolinis in Italien die Kapitulation von einigen Millionen unserer Bundesgenossen. Die deutsche Wehrmacht nahm sie gefangen und schuf für sie den neuen Begriff „Militärinernierte”. Sie waren zusätzliche Zwangsarbeiter, von denen wir nicht genug kriegen konnten. In Schweinfurt waren hunderte bei Baufirmen und beim Forst eingesetzt – und kamen teilweise ums Leben.
Eine Kurzbilanz. Von den zivilen Opfern des Luftkriegs im Raum Schweinfurt waren rund 800 Deutsche und 400 Ausländer. Also ein Drittel. Unter ihnen waren „Russen” und „Ostarbeiter/innen” mit über 200 Toten an erster Stelle, gefolgt von Italienern und Franzosen mit je über 70.
Zum Bereich der Opfer gehört auch ein Begriff, der erst in jüngerer Zeit auftaucht: ,,Kollateralschaden”. Gemeint sind Zerstörungen und Opfer, die nicht beabsichtigt sind, aber sich einfach so zufällig ergeben.
Im Schweinfurter Luftkrieg gab es dafür jede Menge Beispiele, etwa im Jahr 1944: Am 24.2. die Barockkirche von Grafenrheinfeld, am 13.4. Kirche und Pfarrhaus in Sennfeld oder am 27.4. in der Stadt die St. Salvatorkirche. Sogar die Zerstörung der Panzerkaserne am 17.8.1943 durch fast 100 Sprengbomben (mit 57 getöteten Rekruten) war nicht Absicht, sondern Ergebnis des Fehlwurfs von einer der vier Bomberwellen. Sie sollten eigentlich auch die Fabriken treffen. So muß der nachfolgende 2. Angriff am 14. Oktober angesehen werden als eine „Strafarbeit” für den teilweisen Fehlschlag im August.
Von den abgeschossenen Angreifern überlebten etwa zwei drittel durch Fallschirmabsprung. Die Toten wurden zum Teil formlos eingegraben (so über 20 im städtischen Friedhof), manchmal aber auch kirchlich beerdigt wie deutsche Verstorbene (in Waigolshausen, Sennfeld und Hausen).
Aus dem Heer der ausländischen Toten greife ich zwei heraus: den französischen Kriegsgefangenen, beschäftigt in einer Kohlenhandlung in der Wolfsgasse. Er und sein Kamerad hatten eben ein weiteres Fuhrwerk beladen, als der Alarm kam. Im Keller war zu hören, dass die angespannten Pferde wild wurden. Der Kriegsgefangene wollte sie ausspannen, eilte nach oben und wurde dabei getötet.
Und ich nenne den 26jährigen polnischer Landarbeiter aus der Deutschmühle in Schonungen. Er wurde auf dem Feld von Flaksplittern so verletzt, daß er am nächsten Tag im Städtischen Krankenhaus verstarb (,,versehen mit den heiligen Sterbesakramenten” seiner katholischen Kirche). Details sind hilfreich, brechen das Geschehen auf, sind vielleicht auch bewegend. Aber auch da gilt: Zu viel ist zu viel.
So schließen wir unser Gedenken zum 75. Gedenkjahr ab mit einem Blick auf das einzigartige und tröstliche Zeichen von Versöhnung über den Gräbern: Das Denkmal am Spitalseebunker in Schweinfurt. Ehemalige Todfeinde, amerikanische Fliegerveteranen und ehemalige deutsche Luftwaffenhelfer, haben es in den 1990er Jahren gemeinsam erdacht und finanziert. Heuer wird es 20 Jahre alt: Schauen Sie es mal wieder aus der Nähe an und lesen Sie den wohl überlegten Text auf der Stahlplatte – mit dem Hintergrundwissen, das Sie soeben durch die Lektüre dieses Artikels gewonnen haben.
(D. S.)