Johanna Bonengels Buchtipp: „Schneeflocken wie Feuer“

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„Ich war siebzehn, und ich war Frau.“

Elfi Conrads Roman begeistert seit dem Erscheinen Leserinnen und Leser – in großer Einhelligkeit. Das ist ein seltenes Phänomen.

Ein Klassentreffen, rund 60 Jahre nach dem Schulabschluss, eröffnet Elfi Conrads autofiktionales Erinnerungsbuch: „Was war das“, so fragt sich Dora, die Ich-Erzählerin, „für eine unselige Sitte, Fotos der Schulzeit zu zeigen, inzwischen digitalisiert und als JPGs auf einem Computer präsentiert!“ Das, was sie, die fast Achtzigjährige, auf den Fotos sieht, löst Erinnerungen an das Leben als 17-Jährige aus. An das Aufwachsen in einer Kleinstadt im Harz der 1960er Jahre und an eine Epoche, in der die Strukturen des Nationalsozialismus noch sicht- und spürbar und die Rechte von Frauen kein Thema sind. Aus einer beinahe unterkühlten Distanz heraus schaut die knapp 80-jährige Autorin ihrem jungen Ich beim Erwachsenwerden zu. Nicht ohne Ironie, aber auch nicht ohne Schmerzen.

Elfi Conrad wurde 1944 geboren. Die Autorin, die mit der Ich-Erzählerin Dora eine symbiotische Einheit bildet, wurde in eine Familie von Vertriebenen geboren, mit einer fanatischen Hitler-Anhängerin als Mutter und einem jähzornigen, brüllenden Vater. Die Umgebung ist höchst konservativ, prüde und vor allem patriarchalisch geprägt. Dora reflektiert den Prozess des Erwachsenwerdens. „Die, die von ihrem Vater dazu erzogen worden ist, niemals Angst zu haben, die an Selbstüberschätzung leidet, die aber auch dazu erzogen wurde, immer zu gehorchen, hat sich endlich widersetzt.“ „Innerlich verfügten wir über eine ausgeklügelte Raffinesse, uns in Szene zu setzen. Und ich war in dieser Hinsicht skrupellos.“

Elfi Conrad. Foto: privat

Dora erzählt, dass die Mehrheit der Lehrer Mädchen „als zukünftige Haushalts- und Muttertiere“ sah. Mit ihrem Deutschlehrer streitet sie sich darüber, ob das Gretchen in Goethes Faust wirklich „Fräulein“ genannt werden muss; heimlich bemitleidet sie die Frau des Lehrers dafür, mit einem derartigen Jammerlappen verheiratet sein zu müssen.

Dora beherrscht ihre Rolle. Sie funktioniert. Sie macht alles, ohne viel zu murren: sich auf das Abitur vorbereiten, die mental ausgelaugte Mutter abends massieren, die kleine Schwester ins Bett bringen, dem Vater die Brote schmieren.

Und dazwischen ist es ihr wichtig, eine selbstbestimmte Frau zu werden, ihre Energie und ihren Freiheitswillen auszuleben, aber auch als Frau begehrt zu werden wie Brigitte Bardot, Gina Lollobrigida und Sophia Loren.

Und in dem Bemühen, dieses Spannungsfeld in den Griff zu bekommen, wird sie sehr aktiv: Sie verführt – „ein Drang, eine anarchische vage Idee“ – ihren Musiklehrer. Oder verführt er sie? Auf die Schuldfrage gibt die Autorin keine Antwort. Die „Unzucht mit Abhängigen“, wie der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen heute genannt wird, steht im Zentrum des Buches.

Trotz dieser gewichtigen Themen hält Elfi Conrad die Balance zwischen Ernsthaftigkeit, Unterhaltung und anspruchsvoller Literatur. Die erzählten Szenen leben! Sie erreichen die Leserinnen und Leser emotional ganz direkt, aber sie lassen auch viel Raum zu reflektieren.

Die Autorin Elfi Conrad schrieb bereits vor dem neuen Erinnerungsbuch unter dem Pseudonym Phil Mira Romane, die psychologische Ausnahmezustände spannend und intensiv erzählen. Elfi Conrads Weltbild ist nicht einseitig, was das Geschlechterverhältnis angeht. Sie hat ein großes Empathievermögen für Frauen und Männer.

Elfi Conrads „Schneeflocken wie Feuer“ muss man einfach lesen!

Schneeflocken wie Feuer. Mikrotext Verlag, Berlin 2023. 26 €.

 

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