Champion Carl Spitzweg – im Museum Georg Schäfer

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Carl Spitzweg, Der arme Poet (Entwurf), um 1837 Grohmann Museum at Milwaukee School of Engineering © Grohmann Museum Foto: Russ Piant

„Der rote Schirm – Liebe und Heirat bei Carl Spitzweg” – Ausstellung vom 17. März bis 16. Juni 2024 im Museum Georg Schäfer.

von Wolf Eiermann
Im Jahr 2024 jährt sich der 250. Geburtstag des Malers Caspar David Friedrich (1774-1840). Mehrere deutsche Museen sowie das Metropolitan Museum of Art in New York feiern ihn zurecht als einen Hauptvertreter der deutschen Romantik. Nicht nur die Marketingabteilungen, auch die Medien erheben ihn darüber hinaus zum „Superstar“ (Arte TV). Das Namedropping Caspar David Friedrich ist recht erfolgreich. Ursache ist aber nicht mal ansatzweise ein Hype, wie ihn die kultfreudige Gesellschaft im 19. Jahrhundert für ihre Größen von Peter von Cornelius bis Hans Makart zelebriert hatte: Denn damals wurden zuerst Vereine gegründet, diese organisierten dann für die verehrten Künstler neben „Wallfahrten“ zu den Ateliers auch öffentliche Festzüge, propagierten die Umbenennung von Straßen und Einweihung von Denkmälern. Beliebt waren auch Ratespiele zu „gestelltenBildern“ als Frühform der Quizshows im kleinen Kreis. Heute setzt man stattdessen aufWerbung, Blogger und Social Media. Dort darf sich die Fangemeinde auch äußern. Denn die von den Versicherungen geforderten hohen Sicherheitsbestimmungen bei Ausstellungen international gefragter Künstler und Künstlerinnen beschränken heute das durchaus gewollte „Mitmach-Museum“ wie sie auch die eigentliche Kunstvermittlung einschränken.

Aber war C.D.Friedrich ein derart verehrter Superstar? Der Kontrast zu der historischen Tatsache, dass der Greifswalder Maler bereits vor seinem Tod im Jahr 1840 in Vergessenheit geraten war und es über 60 Jahre bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auch blieb, wird heute ins Positive gedreht und man hört es nicht nur im Publikum: Friedrich, das neue Genie der Stimmungslandschaft, sei halt verkannt gewesen. Und ist die Romantik nicht eh ein Synonym für Gefühle, Liebe und Träume, die immer wieder auf die raue Wirklichkeit des Alltags prallen und meist scheitern? Zur Vorstellung von Romantik gehören längst Künstlerarmut, schnoddriges Bohèmeleben und ein allenfalls später Erfolg. Diese Mischung bringt ein berühmtes Bildthema auf den Punkt: Der arme Poet. Als Motiv wurde es im 19. Jahrhundert von gleich mehreren Künstlern gemalt, doch Carl Spitzweg schuf jene Fassungen, die sich amstärksten einprägten und zu Ikonen der Deutschen wurden. Was die damalige Nichtbeachtung Friedrichs, der ja bereits eine Generation zuvor ebenfalls ikonische Bilder geschaffen hatte, noch merkwürdiger macht. Auffallend nur, dass sich zeitgleich zur Missachtung der Landschaften Friedrichs die Kunstgeschichte als Wissenschaftsfach etablierte. Spitzweg erhielt in der Forschung den Status eines geschätzten Ausnahmekünstlers, akzeptiert wurde der vom Volk längst als eigentlicher Star der deutschen Romantik gefeierte Ludwig Richter.Es wäre eine Untersuchung wert, warum gerade jener junge Dresdner Maler, dessen Landschaftsbilder Friedrich 1825 öffentlich geschmäht hatte, weitaus bekannter wurde als dieser selbst. Und erst der Nachruhm: Während sich Ludwig Richter vor allem durch seine Illustrationen als eine Art Hausschatz der Deutschen einen Platz im Bücherschrank gleich neben Goethe und Knigge eroberte, brannte sich Spitzweg durch seine humorigen Motive in die Köpfe der deutschen Kunstinteressierten. Friedrich? Fehlanzeige. Dass Spitzweg die jährlichen Verlosungen der Kunstvereine nutzte, um sich bekannt zu machen, gehörte ebenso zu seiner Verkaufsstrategie wie die Wiederholung beliebter Themen. Obgleich er zu Beginn seiner außerakademischen Künstlerkarriere einen Dämpfer bei genau jenem Motiv erhielt, das heute neben dem Bücherwurm als sein bekanntestes Werk gilt. Wir ahnen es schon: es warDer arme Poet. Der Münchner Kunstverein hatte das Bild nicht angenommen. Doch bald setzte bei Spitzweg als Folge der Popularität seiner Bilder eine erstaunliche Reproduktion ein,durch andere Künstler, Nachahmer, aber auch durch Fälscher. Diese Art der Rezeption nimmt aus Sicht des Museums Georg Schäfer, das den weltweit größten Spitzweg-Bestand verwaltet, auch im 21. Jahrhundert kein Ende. Wobei die Wiedergabe einzelner Spitzwegmotive in den unterschiedlichsten Materialien allemal ein Schmunzeln auslöst.

Mit dieser Popularität lässt Spitzweg unter Marketing-Kriterien alle anderen deutschen Maler und Malerinnen weit hinter sich. Doch ist es eine Aufgabe von Museen, den einst geglückten oder gescheiterten Vermarktungsstrategien in der Kunstwelt nachzugehen und darüber hinaus die Rezeption der Werke, selbst in späteren Epochen, zu untersuchen? Ja, denn wissenschaftlich gesehen helfen sie historische Sachzwänge zu erklären, etwa die eingeschränkte Rolle der Frauen in der Kunst. Nebenbei erklären sie uns auch etwas anderes, nämlich unsere eigene Zeit, in der das Marketing in der Kunst nicht aus einer Massenbegeisterung heraus generiert wird, sondern umgekehrt eine solche erst auslösen soll. Muss man da nachhelfen? Wäre es nicht besser, wenn man dem Museumspublikum dieZeitumstände der Entstehung von Kunst erläutert und damit allen vergessenen Künstlern und erst recht allen vergessenen Künstlerinnen! – gerecht würde, die in ihrer Zeit innovativ waren, aber weder damals noch heute einen Marketingprofi an ihrer Seite hatten? Dies wäre nicht nur bei Caspar David Friedrich lohnend. Angesichts seines Talents sind die damaligen Gründe seines Ausscheidens aus dem Kreis der großer Meister rätselhafter als die Gründe seines heutigen Marketingserfolgs. Aufzudecken gilt es unter diesem Aspekt des Scheiterns ganze Epochen der Kunst dies auch hinsichtlich ihrer kunsttheoretischen Grundlagen, ihrer ästhetischen Spielräume und ihrer historischen Strategien und Ziele. Denn (Selbst-)Vermarktung gehörte immer schon dazu. Friedrich und Spitzweg agierten hierbei im Grunde noch als Fachmaler; hier die Stimmungslandschaft, dort die Komik. Was als „melancholisch“ (Friedrichs Landschaften) und „heiter“ (Spitzwegs Genrebilder) wie Gegenpole wirkt, war im Fall des Humors bei Spitzweg aber breiter angelegt. Seine Bilder waren nicht nur in heiteren Zeiten, sondern auch in Krisenzeiten Champions. Dabei manipulierte Spitzweg durchaus die Betrachter seiner Werke, in dem er seine Bilder wie Theaterbühnen mit Requisiten versah, die ebenso wenig zusammen passten wie seine Sonderlinge in den für sie konstruierten Räumen. Eine Dachstube ohne Bettgestell, aber mit teurem Kachelofen. Ein aufgespannter roter Schirmüber dem Poeten man denkt an eindringendes Regenwasser – doch draußen strahlender Sonnenschein. Seltsam. Ob der Dichter an diesem Ort göttliche Inspiration erwartet? Nein, der Schreiberling sucht Zitierfähiges in veralteten Quellen (also dem Internet des 19. Jahrhunderts).

Dass Spitzwegs Bilder meist recht freche Kritik an der damaligen Gesellschaft äußerten, ist beim Schmunzeln eh vergessen, auch dass in ihnen ein Hilferuf für die Kunst zu hören war wie beim Armen Poeten, ist längst verhallt. Komplexe Beziehungen, erotische Anspielungen, rote Schirme, ein versteckter Ich-Bezug? Geht alles im Lachen unter, ja, so war es halt, das Biedermeier. Die Rezeption ist heute durchaus positiver als zu Spitzwegs Beginn als Maler. Erst allmählich setzte sich sein Witz, seine Malkunst und das Lachen als Reaktion des Publikums durch. Die Forschung sieht ihn heute als Karikaturist, der seiner Zeit einen Spiegel vorhält. Und eine Kernaussage versteht man nach Corona-Zeiten wieder besser: Poesie und Kunst mag zwar in Dachkammern entstehen, doch sie hofft im Grunde nicht auf den einsamen Betrachter, sondern auf die große Bühne, auf den Erfolg bei Scharen von Käufern, beim Volk, bei Uns. Ob sie jedoch auf der Weltbühne Erfolg hat oder nur ein kleines, hochsensibles Spezialpublikum anspricht, darüber entscheidet jede Gesellschaft, jede Generation aufs Neue. Auch ohne Superlative oder ein Marketing mit Plakaten, auf denen man zeitschreierisch einfach Friedrichs Nebelmeer in ein Feuermeer ummalt. Da ist man gespannt, was erst KI alles an Verfremdungen bieten wird, wenn die Ikonen der Malerei aktualisiert werden sollen wie Stücke im Theater.