Ein Koffer erinnert an das Geschehen vor 80 Jahren …

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Am 22. April 1942 haben die Nationalsozialisten erstmals jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Schweinfurt deportiert. Hannes Helferich, Werner Enke, Johanna Bonengel und Norbert Lenhard (von links) erinnerten als Vertreter der Initiative gegen das Vergessen an die Deportation vor 80 Jahren. Foto: Werner Bonengel

Am 22. April 1942, also heuer vor 80 Jahren, haben die Nationalsozialisten erstmals Juden aus Schweinfurt deportiert. Es waren 30 Bürgerinnen und Bürger, die in Schweinfurt geboren wurden oder in der Stadt lebten. Am Gedenkort in der Siebenbrückleinsgasse für die Schweinfurter Juden erinnerte die Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen am Jahrestag mit einer kleinen Feier an die 30 jüdischen Schweinfurter und die 139 Juden aus dem heutigen Landkreis Schweinfurt, die alle gemeinsam zunächst nach Würzburg geschafft, am 25. April 1942 nach Lublin weitertransportiert und in den Vernichtungslagern ermordet wurden.

Am Ort der ausgelöschten jüdischen Gemeinde in Schweinfurt steht seit 2020 ein Kunstobjekt, geschaffen vom Künstler Selçuk Dizlek, das in das Gesamtprojekt „DenkOrt Deportation“ eingebettet ist. In der Grünanlage am östlichen Rand des Bahnhofplatzes in Würzburg ist ein Ensemble von künstlerisch gestalteten Gepäckstücken zu sehen, die das symbolisch sichtbar machen, was den Menschen am Deportationsbahnhof und in den Vernichtungslagern von den Nationalsozialisten angetan wurde. Ein zweites, identisches Gepäckstück aus bisher fast 50 Gemeinden in Unterfranken steht in den Orten, in denen eine lebendige jüdische Gemeinde zu Hause war – bevor alle jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger deportiert und ermordet wurden. Johanna Bonengel, die Sprecherin der Initiative gegen das Vergessen, verdeutlichte, dass „mit dem Erinnerungsprojekt den umgebrachten Menschen ein Stück ihrer menschlichen Würde zurückgegeben wurde“. „Sie haben alles verloren, zurück blieb ein verlassenes Gepäckstück am Weg.“

Die 30 betroffenen Schweinfurterinnen und Schweinfurter jüdischen Glaubens lebten alle in der Innenstadt. Am 20. April 1942 erhielten sie die Schreckensnachricht. Fast alle waren zu diesem Zeitpunkt bereits in die sogenannten Judenhäuser in der Rückertstraße 17 bis 21 zwangsweise eingewiesen worden. Mit welcher Skrupellosigkeit die Nazis vorgingen, recherchierte Elisabeth Böhrer, die eng mit der Initiative gegen das Vergessen zusammenarbeitet, akribisch genau. Böhrer informierte zum Beispiel über ein Gestapo-Schreiben vom 12. April 1942: „Von dem Zeitpunkt der Evakuierung darf den Juden erst am 20.4.1942 Kenntnis gegeben werden.“ Im Einwohnermeldeamt der Stadt Schweinfurt sei die Deportation unter „Abmeldung“ oder „Abwanderung“ registriert worden. Böhrer erforschte auch, dass die meisten der Deportierten ein Alter zwischen 43 und 65 Jahre hatten, aber auch Kinder und Jugendliche zwischen acht und zwanzig Jahren dabei waren. Es sei genau vorgeschrieben worden, was sie mitnehmen durften: 80 Reichsmark, die sie als Transportkosten wieder abliefern mussten, ein Koffer und Verpflegung für 14 Tage. Das meiste sei ihnen in Würzburg am Güterbahnhof „Aumühle“ wieder abgenommen worden.

Aus ganz Mainfranken wurden am 22. April 1942 insgesamt 852 Juden nach Würzburg gewaltsam gebracht. Es war bereits der dritte Transport aus Mainfranken in die Vernichtung und zahlenmäßig größte.

Insgesamt gab es neun Deportationsaktionen aus Unterfranken zwischen November 1941 und Dezember 1944. 2069 jüdische Frauen, Männer und Kinder wurden verschleppt in die Vernichtungslager, nach Izbica und Krasnicyn im Raum Lublin, nach Theresienstadt und Auschwitz.

Nach Schweinfurt kam niemand zurück.

Die Initiative gegen das Vergessen plant ein umfangreiches Erinnerungsprojekt in Schweinfurt, dass allen Ermordeten ihren Namen und ihre Würde zurückgeben will. Johanna Bonengel ist es wichtig zu sagen: „Der Denkort Deportation mit seinem symbolischen Koffer zeigt uns, wozu Menschen fähig sind. Sie vernichten sinnlos Menschen, bringen unfassbares Leid. Warum? Weil sie Juden waren. Das war der Grund vor 80 Jahren. Heute: Weil sie Ukrainer sind.“